Schon morgens beim Joggen konnten wir von einem Berg das Meer außerhalb unserer geschützten Bucht betrachten. Selbst aus der Entfernung waren die weißen Schaumkämme gut zu erkennen: ein klares Zeichen für viel Wind und sich aufbauende Wellen. Nun standen wir vor der Wahl. Entweder würden wir heute die 30 Meilen nach Samos am Wind segeln oder morgen bei Flaute motoren. Nun gut, wir wohnen auf einem Segelboot und nicht auf einem Motorboot, womit sich die Frage von selbst beantwortet.
Nur unter der Genua, bereits gerefft, verlassen wir die Bucht. Kaum sind wir aus dem Schutz der Insel heraus, pfeift uns der Wind um die Ohren. Wir müssen anluven, um auf unseren Kurs zu kommen. Da der Wind nun weiter von vorne kommt, nimmt der scheinbare Wind zu und wir sind bei 25 Knoten. Von der Genua haben wir nur noch ein kleines Stück oben, das Groß ist noch gar nicht gesetzt. Wir tanzen zwischen den beachtlichen Wellen wie ein Spielzeugboot. So viel größer ist Pallini ja auch gar nicht.
Als Michael die Pinne übernimmt, merke ich, wie es mir schlagartig schlechter geht. Ich fange an zu gähnen und fühle mich irgendwie komisch. Kaum habe ich das registriert, legt mein Gehirn richtig los, sich über Seekrankheit Gedanken zu machen. Werde ich jetzt seekrank? Nein! So einfach mache ich es meinem Körper nicht. In meinem Kopf singe ich Lieder und versuche mich abzulenken. Doch so richtig klappt das gerade nicht. Dann nehme ich Michi wieder die Pinne ab, um selbst zu steuern – das hilft meistens. Zusätzlich nehme ich noch eine Tablette gegen Seekrankheit ein. Sicher ist sicher.
„Delfine!“, ruft Michi und ich schaue zur Seite. Da schwimmen sie in den Wellen knapp unter der Wasseroberfläche. Die mögliche Seekrankheit ist erst einmal vergessen. Aus dem Wasser springen sie nicht heraus, aber sie schwimmen einen Moment neben uns her und zeigen ihre weißen Bäuche. Ist das schön!
Schließlich setzen wir das Großsegel doch noch, im zweiten Reff. Das Reffen klappt sehr gut und ich bin zufrieden damit, wie ich die Reffleinen eingefädelt habe. Trotz der kleinen Segelfläche rasen wir mit fünf bis sechs Knoten dahin, wobei die Rumpfgeschwindigkeit der Pallini bei knapp unter sechs Knoten liegt. Irgendwie macht es dann doch Spaß und ich merke, wie es mir wieder besser geht. Unheil vorerst abgewendet.
Nach einer Weile lässt der Wind wie vorhergesagt nach, bis er dann nahezu verschwindet. Merkwürdig. Wir warten noch einen Augenblick und reffen dann aus, um mit vollen Segeln das Beste aus dem wenigen Wind herauszuholen. Jetzt wird es richtig gemütlich an Bord und ich nehme mir mein Buch in die Hand. So kann es gerne den Rest des Tages bleiben.
Ich schaffe es, eine halbe Seite zu lesen, dann ist der Wind zurück. 18, 20, 22 Knoten. Das Reff wird wieder eingebunden, sicherheitshalber direkt wieder das zweite. Und dann geht die wilde Rauschefahrt von Neuem los. 25 Knoten scheinbarer Wind als Standard und in Böen bis auf 34 Knoten hinauf. Mit Buch lesen ist da nichts mehr, denn bei jeder Böe muss ich die Großschot fieren, um etwas Druck aus dem Segel zu nehmen. Weiter reffen geht nämlich nicht. Auch als wir dichter an Samos herankommen, ist von Windschutz keine Rede. Immerhin sind die Wellen hier deutlich kleiner, sodass die Fahrt angenehmer ist.
Michi und ich wechseln uns ab mit der Aufmerksamkeit am Steuer. Der Autopilot lenkt uns zwar gut, aber er kann nicht jeden Ruderdruck ausgleichen. Wir müssen permanent aufpassen und mit der Großschot den Segeltrimm anpassen. Irgendwann halte ich die Großschot komplett in der Hand und fiere sie bei jeder Böe.
Nach 7 Stunden Fahrt und 34 Seemeilen, erreichen wir unsere anvisierte Bucht und lassen den Anker fallen. Dieser Segeltörn war actionreich und hat richtig Spaß gemacht, aber er war auch wahnsinnig anstrengend. Trotzdem bin ich froh, dass wir heute gefahren sind und die Strecke unter Segeln bewältigen konnten, mit einer grandiosen Durchschnittsgeschwindigkeit. Jetzt wir es die nächsten Tage eh erst mal etwas ruhiger, denn Michi gibt der Frau unseres vorherigen Eigners Segelunterricht auf deren Boot und parallel kommen Michis Eltern zu Besuch nach Samos.