Nur wenige Stunden später weckt uns die Hitze und verhindert weiteren Schlaf. Zusätzlich haben wir im Dunkeln genau bei dem einzigen Felsen der ganzen Bucht geankert und entsprechend laut überträgt die Ankerkette jede Berührung zu uns ins Boot. Während ich mich noch im Bett umherwälze, hat Michi schon einen Kanister mit Diesel organisiert. Über eine Nummer vom Hafen hat er eine hilfsbereite Dame erreicht, die alles in die Wege leitet. Im Hauptort von Ios wird ein neuer Kanister besorgt, mit Diesel aufgetankt und ein Busfahrer nimmt diesen dann auf seiner normalen Route in den Süden mit.
Bis dahin gibt es nicht viel zu tun. Ich lege mich noch einmal hin, denn ich fühle mich so zerknittert, dass meine Laune wirklich übel ist. Michi fährt in der Zwischenzeit an Land und wartet dort auf den Busfahrer. Am frühen Nachmittag kommt er mit dem Dieselkanister zurück und ich schäle mich aus dem Bett. Es ist definitiv Zeit, zu den Lebenden zurückzukehren.
Nachdem der Diesel in unseren Tank umgefüllt wurde, ist dieser wieder ausreichend voll. Allerdings stellt Michi fest, dass auch vor dem Nachfüllen noch etwa 15 Liter drin gewesen sein müssten – eine ganz schöne Menge, die eigentlich nicht zum Ausfallen des Motors führen sollte. Vielleicht lag das Problem doch woanders? Vorsichtshalber tauschen wir den Dieselfilter aus, da wir jetzt eh schon am Motor herumschrauben. Der alte war sicher schon eine Weile eingebaut und zufällig hatten wir noch einen als Ersatz dabei.
Damit ich nicht immer nur arbeitslos dort stehe und schaue, darf ich die Schläuche wieder richtig anbringen, sodass der Motor den Diesel aus dem Tank zieht. Konzentriert stecke ich die Schläuche um, während ich versuche, möglichst wenig Diesel im Motorraum zu verteilen. Dann ziehe ich unter Beaufsichtigung die Schlauchschellen wieder fest, mit viel Gefühl. Schlussendlich darf ich noch den Impeller inspizieren, wozu ich nur eine Abdeckung abschrauben muss. Alles ist erledigt, jetzt sollte der Motor wieder anspringen.
Michi dreht den Schlüssel, der Motor dreht sich und dreht sich, aber das knatternde Geräusch des Startens bleibt aus. „Das ist normal, der Diesel muss jetzt erst einmal wieder bis zum Motor gepumpt werden, das dauert ein wenig“, beruhigt mich Michi. Doch auch nach mehreren Versuchen tut sich nichts. Ein Blick in die Anleitung des Motors schlägt das Entlüften vor. Falls irgendwo im Schlauch – oder im frisch eingebauten Dieselfilter – noch Luft ist, hindert das den Motor am Starten. Ich pumpe mit der Hand, bis der Diesel aus der Entlüftungsschraube tropft. Meine Hände sind voller Diesel und schwarzem Abrieb, der Schweiß läuft mir über das Gesicht. Mittlerweile fange ich an zu verstehen, was der Motor zum Funktionieren benötigt, wo sich diese Teile befinden und wie man daran herumschrauben kann.
Trotzdem bringen wir den Motor nicht zum Laufen. Es hört sich schrecklich an, wie er vor sich hinorgelt und nichts passiert. Es vergehen Stunden, in denen wir manuell pumpen, entlüften, googlen und herumschrauben. Als es Abend wird und wir noch keine Lösung gefunden haben, räumen wir zusammen, wischen den Boden und ich backe uns Pizza. So wird es noch ein angenehmer Abend.
Ausgeruht wird die Werkstatt am nächsten Tag wieder eröffnet. Michi hat noch eine Liste an Ideen, die er ausprobieren möchte. Meine Hände bleiben heute weitestgehend sauber, es nützt nichts, wenn wir beide mit Diesel vollgeschmiert sind. Ich schaue Videos, lese Artikel und Forumsbeiträge. Nach und nach schließt Michi weitere mögliche Probleme aus und wird immer ratloser. Irgendwann weiß auch er nicht mehr weiter. „Entweder es sind die Injektoren oder die Zylinderkopfdichtung hat ein Problem. Weder das eine noch das andere kann ich ausbauen, mir ansehen oder reparieren. Wir brauchen Unterstützung.“ Er ruft erneut bei der freundlichen Dame im Hafen an und erhält tatsächlich die Nummer eines Mechanikers. Ans Telefon geht dort jedoch niemand. „Wir haben Sonntag“, seufze ich, „da haben die Mechaniker wohl auch Wochenende“.
Der Wind hat aufgefrischt und auf dem Boot ist es gerade zum Verzweifeln. Daher schnappen wir uns nach dem Aufräumen unsere Laptops und fahren in die kleine Taverne am Strand. Wenn der Motor schon nicht laufen will und wir sonst nichts tun können, dann können wir uns wenigstens einen angenehmen Nachmittag machen. Mir tut es gut, einmal etwas Abstand zum Motor zu bekommen. Es ist deprimierend für mich, dass ich keine große Hilfe für Michi bin. Gleichzeitig bin ich stolz, wie viel ich in den letzten Tagen über unseren Motor gelernt habe und dass ich sogar wirklich daran herumgebastelt habe.
Während wir im Schatten der Taverne sitzen, wird der Wind immer stärker. Wir sehen den Sand quer über den Strand fliegen, sodass die Badegäste nach und nach ihre Liegeplätze auf den Liegen aufgeben. Weit draußen türmen sich wilde Schaumkronen auf. Es wird dringend Zeit für uns, zurück zur Pallini zu fahren. Als wir am Ufer ankommen, wünschen wir uns, bereits früher aufgebrochen zu sein. Obwohl der Wind ablandig ist, haben sich bereits dicht am Strand schon richtige Wellen aufgebaut. Auf unserer Fahrt kämpfen wir mit Wind und Welle und werden mehr als einmal völlig durchnässt. Gegen den Wind hätten wir keine Chance mehr. Umso wichtiger ist es, dass wir die Pallini nicht verfehlen und uns gut festhalten.
Eine Weile später haben wir es an Bord geschafft. Unser Dingi sichern wir vorsichtshalber mit vier Leinen. Michi wirft Ankerkette nach, bis die kompletten 50 Meter draußen sind. Wild tanzt Pallini auf den Wellen. Zeitweise fliegt die Gischt über das Wasser. Immer wieder klettern die Böen auf über 40 Knoten und das spürt man auch. Entspannen kann ich mich nicht. Wenn der Anker nicht hält, haben wir ein Problem. Ohne Motor ist die Situation nicht ungefährlich. Ich sichere das Bimini mit zusätzlichen Leinen ab und sammle alles ein, was wegfliegen könnte. Mit Flossen und Schnorchel versucht Michi, den zweiten Anker auszubringen, der aber nur wenige Meter vor unserem Bug landet und dort nicht viel bewirken wird.
Ich habe das Gefühl, dass es immer wilder wird. Die Yacht schräg vor uns holt ihr Dingi hoch. Zu dritt müssen sie es festhalten, weil der Wind es sonst davontragen würde. Sind sie uns nähergekommen? Der Anker ist wohl gerutscht und ich hoffe, dass er nun hält. Kurz darauf holen sie den Anker hoch und verlassen die Bucht. Die Gischt wird immer stärker über das Wasser geweht. Wir können die Luke vorne nicht öffnen, unser Bett soll trocken bleiben. Die Windanzeige klettert weiter hinauf, 50 Knoten lese ich in der Spitze ab und mache ein Foto davon. Das sind 100 km/h. Und wir hängen an einer Metallkette und haben keinen funktionieren Motor.
Zum Strom sparen schalten wir den Windmesser aus. Egal wie stark der Wind noch steigt, wir können jetzt sowieso nichts tun. Nur abwarten. Mit Netflix und Gilmore Girls verkrieche ich mich ins Bett und versuche mich abzulenken. Lange glaube ich, dass ich heute Nacht gar nicht schlafen würde, doch irgendwann holt mich der Schlaf trotz der Geräuschkulisse und den Bootsbewegungen. In der zweiten Hälfte der Nacht wird der Wind weniger und ist am Morgen schließlich komplett eingeschlafen. Es ist, als wäre nie etwas gewesen. Wir kennen jedoch die Windvorhersage. Die nächsten zwei oder drei Tage soll es so weitergehen. So lange können wir hier nicht ausharren, das ist einfach irre.